Mitglieder des Gewerbevereins – inspiriert von sächsischen Geistesgrößen
Nehmen wir z. B. Johann Gottlieb Fichte aus dem nahen Rammenau, den ehemaligen verarmten Hauslehrer, der erst spät über Umwege zur Philosophie gekommen ist und dann plötzlich zu einer der bekanntesten Persönlichkeiten im Lande geworden war. Durch einen Zufall in Verbindung mit einer Reise nach Warschau, wo er eine Hauslehrerstelle antreten sollte, was fehlschlug, kam er nach Königsberg und hatte das Glück, mit dem von ihm verehrten Philosophen in Verbindung zu kommen. Immanuel Kant lud Fichte zum Mittagessen, nachdem er von dem angehenden Philosophen die Erstschrift „Versuch einer Kritik aller Offenbarung“ erhalten und gelesen hatte. Damit begann der Aufstieg Fichtes, führte bis zu einer Professur an der Universität Jena und weiteren Höhen. Das alles hatte durchaus mit einer eigenen geistigen Leistung Fichtes zu tun. Er bereicherte die Erkenntnistheorie mit eigenen Ideen. Allerdings Goethe, in dessen Territorium Fichte eingedrungen war und der nicht so viel von abstrakter Theorie hielt, konnte ihn nicht leiden. Er ließ es ihn spüren. Als die Jenaer Studenten Fichte die Fensterscheiben eingeworfen hatten und er sich beim Weimarer Minister beschwerte, schrieb er ihm: „Sie haben also das absolute ICH in großer Verlegenheit gesehen, und freilich ist es von den NICHT-ICHS, die man doch gesetzt hat, ignoriert worden.“ Der theoretische Ansatz von Fichtes ICH, das als Individuum gleichzeitig denkt und handelt, war der Versuch, Kants Theorie weiterzuentwickeln (kann aber hier nicht näher ausgeführt werden.).
Entscheidend ist für uns, was sich aus diesen Ideen mit unseren Gewerbetreibenden, mit dem Handwerk verbindet: Sie bieten heute noch die Möglichkeit, vor allem zu unbedingter Selbstbesinnung, zur Vergegenwärtigung eigener Bewusstseinsleistung und eigenständiger Handlung vor dem Hintergrund zunehmender Fremdbestimmung. Und gerade das wollen unsere Gewerbetreibenden: sich auf sich selbst besinnen, das was sie tun, mit eigener Bewusstseinsleistung vollbringen und – sich nicht fremdbestimmen lassen. Fichtes Philosophie ist an das Subjekt gebunden, an das reflektierende ICH. Denn wie er sagte, ist das eigene Denken „kein toter Hausrat, den man ablegen oder annehmen kann wies beliebt, sondern es ist von der Seele des Menschen durchdrungen, die er hat.“ Berühmt waren auch Fichtes Reden an die Deutsche Nation während der Napoleonischen Besetzung, die von tiefer Heimatliebe zeugen – von der wir uns verbunden fühlen.
Anknüpfen daran lassen sich auch Überlegungen und Gedanken von Gotthold Ephraim Lessing, unserem berühmten Dichter aus Kamenz: Lessing sinnierte z.B. über die Staatsverfassung, die bürgerlichen Gesetze und die Freimäurer (Wir würden heute sagen, er dachte über den Zustand der Demokratie nach.). Er schrieb das in einem Dialog nieder und ließ zwei Herren (Herrn Ernst und Herrn Falk) darüber reden. Beide sprachen zuerst über die Staatsverfassung, über die Mängel der bürgerlichen Gesetze und über die Freimäurer. Dann kamen sie plötzlich, indem sie spazieren gingen auf die Ameisen zu sprechen (angeregt durch einen Ameisenhaufen, den sie sahen.). „Sie mal diesen Ameisenhaufen. Welche Geschäftigkeit und doch welche Ordnung! Alles trägt und schleppt und schiebt; und keines ist dem anderen hinderlich. Sieh nur, sie helfen einander sogar! Die Ameisen leben in Gesellschaft wie die Bienen. Und in einer noch wunderbareren Gesellschaft als die Bienen. Denn sie haben niemand unter sich (soll heißen „über sich“), der sie zusammenhält und regieret. Ordnung muss also doch auch ohne Regierung bestehen können? – lässt Lessing am Ende fragen.
Dieser provokante Text von Lessing wirft Fragen auf, die auch unsere Gewerbetreibenden umtreibt. Sie fühlen sich überregiert, von Vorschriften und Bürokratie geplagt. Wenn Lessing über die Ameisen schreibt, dass sie deshalb keine Regierung brauchen, weil sich jede Ameise selbst zu regieren weiß. Dann korrespondiert doch dieser Gedanke der dahinter steckt, genau mit dem Problem der übertriebenen Bürokratie, mit zu vielen Eingriffen der Regierung in das Alltagsgeschäft der Gewerbetreibenden. Schon der Ökonom Adam Smith war der Auffassung, dass das Individuum in seinem wirtschaftlichen Handeln weitgehend frei sein muss und nicht durch staatliche Eingriffe behindert werden darf.
Viele unserer Handwerker und Gewerbetreibenden sehen in ihrer Tätigkeit auch den Sinn für Schönheit und für das richtige Maß wie wir das schon von der Antike her kennen. Einer der in Dresden von Stendal kommend auch Sachse geworden war, hat in seiner Zeit Deutschen und Europäern das nahe gebracht, Winkelmann. In der schlichten Form kann Schönheit und edle Größe erscheinen, ist eine seiner Grunderkenntnisse gewesen. Unseren Gewerbetreibenden ist das geläufig. Sie wissen, dass man Dinge mit einfachen schlichten Formen auch schön gestalten kann. Und die in der Modebranche Tätigen schütteln nicht selten den Kopf über Geschmacklosigkeiten, die die Industrie produziert. Da erinnert man sich gern an Friedrich Schillers Mahnung: „Nur durch das Morgentor des Schönen drangst du in der Erkenntnis Land.“
Abschließend komme soll noch eine Geistesgröße aus der jüngeren Geschichte erwähnt werden, Ernst Bloch. Indem er längere Zeit an der Universität Leipzig Philosophie gelehrt hat, zwar aus Ludwigshafen stammt, wollen wir ihn trotzdem auch in unsere Gedankenverbindung einordnen. Sein Vater, ein Beamter, hätte allerdings gern seinen Sohn in einem „vernünftigen Beruf“ gesehen und willigte nur ungern in ein Philosophie-Studium ein. Aber Bloch fand sein großes Thema in der Philosophie dann doch im „Prinzip Hoffnung“. Ein 1600 Seiten dickes Buch mit dem Titel „Das Prinzip Hoffnung“ ist Ernst Blochs Lebenswerk. Ernst Blochs Vorlesungen in Leipzig und seine Auftritte bis ins Alter wurden Legende. In den 50er und 60er Jahren stieß der eigensinnige Philosoph daher zwangsläufig mit den Betonköpfen der SED zusammen bis er nach dem Mauerbau im Westen blieb – war aber weiterhin von den Kommunisten gefürchtet. Das Prinzip Hoffnung ist heute oft eine Allerweltsfloskel – auch bei Politikern. Aber wahrscheinlich haben die allermeisten kaum eine Seite des dicken Buches gelesen. Die Theorie Blochs ist eine Theorie des Schöpferischen, des Entstehenden aus dem Unbewussten. Es gibt nach ihm ein Noch-Nicht –Bewusstes, dass auf sein Erkennen, sein Erscheinen wartet, das sich im Unterbewusstsein bereit hält, das Hoffnung und Rückhalt gibt und Heimat werden kann. Denn kein Gewerbetreibender, kein Handwerker kann ohne Hoffnung eine Firma leiten. Alles wird von der Hoffnung getragen, dass die Vorhaben oder dass das angefangene Werk gelingen wird und vollendet werden kann. Schon Paulus sagte: „Wir hoffen auf das was wir nicht sehen.“ Richtig, wir sehen das Fertige, das Neue noch nicht, aber unser Denken und unsere Seele sind auf das Erwartete fixiert.
Dr. Bernd Müller-Kaller (im April 2022)